NACH OBEN

Zustandsgleichungen für Gemische

Die Entwicklung und Simulation von energietechnischen Prozessen erfordert die genaue Berechnung von Stoffdaten. In den meisten Anwendungsfällen handelt es sich bei dem Arbeitsfluid nicht um einen Reinstoff, sondern ein Gemisch aus mehreren Stoffen. Diese sind oft nicht-ideal und weisen komplexe Phasengleichgewichte auf. Daher werden hoch genaue Zustandsgleichungen für Gemische in Form der Helmholtz Energie benötigt. Diese Fundamentalgleichungen ermöglichen die Berechnung aller thermophysikalischen Eigenschaften in gasförmigen, flüssigen, überkritischen und Sättigungszuständen.

Derzeit liegt der Fokus bei der Entwicklung der Gemischzustandsgleichungen auf Wasserstoffgemischen im Zuge von „Power-to-Gas“, Kohlenstoffdioxidgemischen für die Anwendung von „Carbon Capture and Storage“ (CCS) und Erdgasgemischen im kryogen Temperaturbereich für „Liquified Natural Gas“ (LNG) Prozesse.

 

Wasserstoffgemische:

H2 Skizze
Abbildung 1: Power-to-Gas Energiespeicherung durch Kopplung des Storm- und Gasnetzes

Die Energiewende ist das zentrale Element für eine umweltfreundliche, nachhaltige und zukunftsorientierte Wirtschaft. Der Wechsel von nuklearen und fossilen Energiequellen zu erneuerbaren Energien ist das Kernstück der Energiewende und wurde in den letzten Jahren umfassend vorangetrieben. Schwankende nachhaltige Energiequellen, wie Wind- oder Sonnenenergie, stellen jedoch neue Herausforderungen dar, da sie in erster Linie von den Wetterbedingungen abhängig sind. Die Einspeisung von synthetischem Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien erzeugt wird, in das Erdgasnetz ("Power-to-Gas") ist eine vielversprechende Technologie für die Integration von großflächigen Energiespeichern in die Energieversorgungskette. Im Rahmen der Flexibilisierung des Energiesektors bietet das Erdgasnetz nicht nur den Vorteil eines bereits bestehenden und nahezu unendlichen Speichers, sondern kann auch als Transportinfrastruktur für die Verteilung der Energie genutzt werden. So kann die Herstellung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien dazu beitragen, das Stromnetz zu entlasten, den Bedarf an kohlenstoffhaltigen Primärenergieträgern zu senken und den Kohlenstoffdioxidausstoß zu reduzieren.

Coh2 D Dev
Abbildung 2: Prozentuale Abweichung in der homogenen Dichte zwischen der GERG-2008 [1] und der neuen Zustandsgleichung für das binäre System Kohlenstoffmonoxid + Wasserstoff

Die Wasserstoffeinspeisung kann jedoch temporär zu sehr hohen lokalen Wasserstoffkonzentrationen im Erdgasnetz führen, die bei der Simulation von Gasnetzen, Gasspeichern und Umwandlungstechnologien berücksichtigt werden müssen, um einen korrekten Betrieb der Sicherheitstechnik und der Abrechnungsverfahren zu gewährleisten. Für die Berechnung der thermophysikalischen Eigenschaften von Mehrkomponentengemischen, wie z.B. Wasserstoff + Erdgas, werden Zustandsgleichungen für die beteiligten Reinstoffe durch Mischungsregeln kombiniert. Aktuelle Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die derzeit verfügbaren Modelle nicht in der Lage sind, die sicherheits- und abrechnungsrelevanten Daten für wasserstoffreiche Gemische mit der gleichen Qualität wie für konventionelle Erdgase zu bestimmen. In Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut UMSICHT ist die Entwicklung hochgenauer und zuverlässiger Zustandsgleichungen zur Berechnung der thermodynamischen Eigenschaften wasserstoffreicher Gemische vorgesehen. Im Rahmen des wissenschaftlichen Prozesses werden Defizite des Referenzmodels GERG-2008 [1] untersucht, identifiziert und auf Grundlage von neuen experimentellen Daten verbessert.

 

Kohlenstoffdioxidgemische:

In den letzten Jahren hat die Reduzierung der globalen CO2-Emissionen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Im Pariser Abkommen [2] erklären die ratifizierenden Staaten, dass die Temperaturerhöhung aufgrund der globalen Erwärmung innerhalb der 2°C-Grenze gehalten werden soll.

Die Verringerung der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre ist von globaler Bedeutung. International wird „carbon capture and storage“ (CCS) als eine der Schlüsseltechnologien zur schnellen Reduktion von Kohlenstoffdioxid-Emissionen betrachtet. Die Idee ist CO2, welches beispielsweise bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen in Kraftwerken oder auch bei der Produktion von Zement entsteht, abzuscheiden. Anschließend wird das Kohlenstoffdioxid, welches meist Verunreinigungen enthält, zu einer sicheren und permanenten geologischen Speicherstätte transportiert. Bei den Speicherstätten handelt es sich unter anderem um saline Aquifere. Für diese Speicher werden ebenfalls Stoffdatenmodelle entwickelt, um den Einfluss der Salzlaaken in den Speicherstätten zu berücksichtigen.

Co2ar
Abbildung 3: Abweichungsdiagramm zwischen experimentellen Dichten von Ben Souissi et al. [3] und Dichten berechnet mit der Zustandsgleichung für Kohlenstoffdioxid + Argon [4].

Die Kenntnis von thermodynamischen Stoffeigenschaften, wie homogenen Dichten oder Gas-Flüssig-Gleichgewichten ist die Voraussetzung für die Entwicklung von sicheren und effizienten Systemen. Die Verunreinigungen können das Verhalten von Kohlenstoffdioxid jedoch signifikant ändern, sodass Zustandsgleichungen für Kohlenstoffdioxid-reiche Gemische entwickelt werden müssen. Basierend auf dem Stoffdatenmodell GERG-2008 [1], welches für Erdgase entwickelt wurde und dem Stoffdatenmodell EOS-CG [5], welches für Verbrennungsgasgemische entwickelt wurde, wurde das um CCS-relevante Gemische erweiterte Modell EOS-CG-2019 [6] veröffentlicht. Im Zuge einer Kooperation mit dem norwegischen Forschungsinstitut SINTEF  Energy Research und der Universität NTNU in Trondheim wird dieses Stoffdatenmodell fortlaufend verbessert und erweitert.

 

Erdgasgemische:

Die sichere und effiziente Gestaltung von Prozessen bei der Förderung, Verteilung und Abrechnung von Erdgas erfordert zuverlässige Informationen über thermodynamische Eigenschaften. So sind beispielsweise Brennwert und Dichte notwendige Eigenschaften für die Berechnung der übertragenen Energie im kommerziellen Handel.

Lng Terminal
Abbildung 4: LNG-Terminal auf der Insel Melkøya bei Hammerfest, Norwegen

In-situ-Messungen der Dichte in jedem Prozessschritt sind nicht möglich, da insbesondere für verflüssigtes Erdgas keine robusten und ausreichend genauen Geräte zur Verfügung stehen. Die genaue Vorhersage der Dichte bei bestimmten Temperaturen, Drücken und Zusammensetzungen von Erdgasmischungen ist daher ein wesentliches Element des industriellen Handels. Zu diesem Zweck werden derzeit Zustandsgleichungen verwendet, um nicht nur die Dichte, sondern alle erforderlichen thermodynamischen Eigenschaften auf der Grundlage von Messungen von Druck, Temperatur und Zusammensetzung zu berechnen.

Das genaueste in der Literatur verfügbare Mischungsmodell, die GERG-2008 [1], wurde für die Berechnung von thermodynamischen Stoffdaten für Erdgase über weite Temperatur-, Druck- und Zusammensetzungsbereiche entwickelt. Die eingeschränkte Verfügbarkeit von experimentellen Daten weit außerhalb des für den Pipelinetransport typischen Temperatur- und Druckbereichs führte jedoch dazu, dass die Gleichung hauptsächlich für Pipelinebedingungen optimiert wurde. Der kontinentale Transport durch Pipelines wird mit zunehmenden Entfernungen zwischen Produzenten und Endverbrauchern zu kostenintensiv. Erdgas wird daher oft über große Entfernungen als LNG zwischen verschiedenen Kontinenten transportiert. Dies erfordert genaue thermodynamische Eigenschaften bei kryogenen Zuständen bei etwa 90 K bis 180 K mit Drücken von bis zu 10 MPa.

Lng
Abbildung 5: p,T-Diagramme für das binäre System Methane + n-Pentan berechnet mit der EOS-LNG [9] und der GERG-2008 [1]

Jüngste Untersuchungen haben gezeigt, die GERG-2008 [1], die der derzeitige Standard für die Berechnung der Eigenschaften von Erdgas ist, neue experimentelle Dichtewerte für LNG und verwandte Mischungen bei kryogenen Bedingungen nicht innerhalb ihrer Unsicherheit von 0,05 % oder weniger reproduziert [7, 8].

Daher wird ein neues Modell für die Berechnung von Erdgasmischungen entwickelt, das explizit in der Helmholtz-Energie formuliert ist. Aufgrund seines fundamentalen Charakters kann es zur Berechnung aller thermodynamischen Eigenschaften unter Verwendung von Kombinationen von Ableitungen der Gleichung nach Dichte, Temperatur und Zusammensetzung verwendet werden. Obwohl besonderes Augenmerk auf die LNG-Region gelegt wird, wird gleichzeitig die Widergabe aller anderen verfügbaren Daten über die gesamte fluide Oberfläche kontrolliert, sodass die Unsicherheit der Gleichung (EOS-LNG [9]) kleiner oder zumindest ähnlich wie bei der GERG-2008 [1] ist.

 

 

 


Literatur

[1] Kunz, O.; Wagner, W., J. Chem. Eng. Data, 2012, 57:3032

[2] United Nations, Paris Agreement, Paris, 2015

[3] Ben Souissi, M.; Richter, M.; Yang, X.; Kleinrahm, R.; Span, R. ,2016, J. Chem. Eng. Data .

[4] Løvseth, S.W. ; Austegard, A.; Westman, S.F.; Stang, H.G.J.; Herrig, S.; Neumann, T. and Span, R. , 2018,  Fluid Phase Equilibria, 466, 48–78

[5] Gernert, J., Span, R. The Journal of Chemical Thermodynamics 93, 2016, 274-293

[6] Herrig S., New Helmholtz-Energy Equations of State for Pure Fluids and CCS Relevant Mixtures, Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 2018.

[7] Richter, M.; Kleinrahm, R.; Lentner, R.; Span, R.,  J. Chem. Thermodyn. 2016, 93, 205–221.

[8] Lentner, R.; Richter, M.; Kleinrahm, R.; Span, R.,  J. Chem. Thermodyn. 2017, 112, 68–76.

[9] Thol, M.; Richter, M.; May, E. F.; Lemmon, E. W.; Span, R., 2019, J. Phys. Chem. Ref. Data 2019, 48, 033102