NACH OBEN

Hochgenaue Zustandsgleichungen für Reinstoffe

Die genaue Kenntnis thermodynamischer Stoffeigenschaften ist wesentlich für die Auslegung und Optimierung jeglicher Prozesse in der Energie- und Verfahrenstechnik. Auch in der akademischen Forschung spielen sie eine wesentliche Rolle. Diese Eigenschaften werden heutzutage in der Regel mit Hilfe von Zustandsgleichungen berechnet, welche meist basierend auf experimentell ermittelten Stoffdaten (z.B. Druck, Dichte, Wärmekapazität, Schallgeschwindigkeit, usw.) erstellt werden. Stehen solche Gleichungen zur Verfügung, können diese in Stoffdatenpakete wie TREND [1], REFPROP [2] oder CoolProp [3] implementiert werden, womit der Anwender zu jederzeit und an (theoretisch) beliebigen Zustandspunkten die benötigten Stoffdaten berechnen kann.

Zustandsgleichungen variieren sehr stark in Bezug auf ihre Genauigkeit und den abgedeckten Gültigkeitsbereich. Zu den heutzutage genausten Gleichungen gehören die sogenannten Referenzzustandsgleichungen in Form der Helmholtz-Energie, die idealerweise alle verfügbaren hochgenauen experimentellen Stoffdaten innerhalb ihrer experimentellen Unsicherheiten wiedergeben. Ihr Gültigkeitsbereich erstreckt sich in der Regel über einen weiten Temperatur- und Druckbereich von industriellem Interesse. Aufgrund der Komplexität der Gleichungen und der damit einhergehenden Notwendigkeit von umfangreichen, hochgenauen experimentellen Datensätzen verschiedenster thermodynamischer Stoffdaten gibt es in der Literatur nur ca. 10 Zustandsgleichungen dieser Kategorie. Schon unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. e.h. W. Wagner war einer der Forschungsschwerpunkte des Lehrstuhls für Thermodynamik die Entwicklung solcher Gleichungen. Die am Lehrstuhl verfügbaren Messapparaturen ermöglichen eine hochgenaue Vermessung von Stoffdaten, die dann zur Anpassung von Referenzzustandsgleichungen verwendet wurden. Dazu zählen bisher die wichtigsten Fluide in der Energietechnik, wie zum Beispiel Wasser [4], Deuteriumoxid (schweres Wasser) [5], Kohlendioxid [6], die Luftkomponenten Sauerstoff [7], Stickstoff [8] und Argon [9], oder auch Methan [10] und Ethan [11] als Hauptkomponenten von Erdgasen.

Vor allem in der Chemie und Verfahrenstechnik sind die verwendeten Stoffe oftmals toxisch, explosiv, schnell entzündbar, korrosiv, usw. Dies erschwert die experimentelle Untersuchung dieser Stoffe, was zur Folge hat, dass die experimentelle Datenbasis stark eingeschränkt ist. Daher wird in diesem Bereich bisher mit einfacheren, kubischen Zustandsgleichungen oder semi-empirischen Modellen, wie die basierend auf der „Statistical Associating Fluid Theory“, gerechnet. Die in den letzten Jahren stark optimierten Anpassungsmethoden ermöglichen es heutzutage jedoch auch für viele dieser Stoffe Helmholtz-Zustandsgleichungen zu entwickeln. Diese sogenannten Zustandsgleichungen für industrielle Anwendungen basieren auf weniger genauen Stoffdaten und decken einen geringeren Temperatur- und Druckbereich als Referenzzustandsgleichungen ab. Durch die Verwendung geeigneter Randbedingungen bei der Entwicklung dieser Gleichungen ist es jedoch trotzdem möglich sie über die Grenzen des Gültigkeitsbereichs zu extrapolieren und damit auch in Gemischmodelle zu implementieren. Für die Forschungsarbeiten an solchen Gemischmodellen werden am Lehrstuhl für Thermodynamik dazu relevante Reinstoffgleichungen entwickelt. Dazu zählen unter anderem chemische Komponenten der Rauchgaswäsche wie Amine oder Glycole als Hydratbildungshemmer in wasserhaltigen Gemischen. Weiterhin werden Siloxane als vielversprechende Arbeitsfluide in Organic Rankin Cycle Prozessen oder neue Kältemittel (z.B. R1234ze oder R1234yf) charakterisiert. Darüberhinaus werden im Bereich der Chemie und Verfahrenstechnik zum Beispiel Produkte und Edukte für die Herstellung von Vinylchlorid (u.a. Chlor, Chlorwasserstoff, Vinylchlorid, 1,2-Dichlorethan) untersucht.


Literatur

[1] Span, R.; Beckmüller, R.; Hielscher, S.; Jäger, A.; Mickoleit, E.; Neumann, T.; Pohl, S.; Semrau, B.; Thol, M. TREND. Thermodynamic Reference and Engineering Data 5.0; Lehrstuhl für Thermodynamik, Ruhr-Universität Bochum, 2020.

[2] Lemmon, E. W.; Bell, I. H.; Huber, M. L.; McLinden, M. O. NIST Standard Reference Database 23: Reference Fluid Thermodynamic and Transport Properties-REFPROP, Version 10.0; National Institute of Standards and Technology, 2018.

[3] Bell, I. H.; Wronski, J.; Quoilin, S.; Lemort, V. Pure and Pseudo-Pure Fluid Thermophysical Property Evaluation and the Open-Source Thermophysical Property Library CoolProp. Ind. Eng. Chem. Res. 2014, 53 (6), 2498–2508. DOI: 10.1021/ie4033999.

[4] Wagner, W.; Pruss, A., J. Phys. Chem. Ref. Data 2002, 31 (2), 387–535. DOI: 10.1063/1.1461829.

[5] Herrig, S.; Thol, M.; Harvey, A. H.; Lemmon, E. W. A Reference Equation of State for Heavy Water. J. Phys. Chem. Ref. Data 2018, 47 (4), 043102. DOI: 10.1063/1.5053993.

[6] Span, R.; Wagner, W. A., J. Phys. Chem. Ref. Data 1996, 25 (6), 1509–1596. DOI: 10.1063/1.555991.

[7] Schmidt, R.; Wagner, W., Fluid Phase Equilib. 1985, 19 (3), 175–200. DOI: 10.1016/0378-3812(85)87016-3.

[8] Span, R.; Lemmon, E. W.; Jacobsen, R. T.; Wagner, W.; Yokozeki, A., J. Phys. Chem. Ref. Data 2000, 29 (6), 1361–1433. DOI: 10.1063/1.1349047.

[9] Tegeler, C.; Span, R.; Wagner, W., J. Phys. Chem. Ref. Data 1999, 28 (3), 779–850. DOI: 10.1063/1.556037.

[10] Setzmann, U.; Wagner, W., J. Phys. Chem. Ref. Data 1991, 20 (6), 1061–1155. DOI: 10.1063/1.555898.

[11] Bücker, D.; Wagner, W., J. Phys. Chem. Ref. Data 2006, 35 (1), 205–266. DOI: 10.1063/1.1859286.